Wie schreibt man einen Jugendroman?
Topfoto zu diesem Artikel: Album-Cover „Like a virgin“ von Madonna
Ich sitze gerade an einem Projekt, das mir ganz neue Fähigkeiten abverlangt: Ich schreibe über ein 15jähriges Mädchen, das außergewöhnliche Fähigkeiten hat, die es selbst erst nicht versteht und die ihren Mitmenschen suspekt sind. Ich schreibe den Roman in der Ich-Perspektive des Mädchens, was eine zusätzliche Herausforderung ist.
Der Roman spielt im Jahr 1985 in einem fiktiven Ort in der Nähe Kölns mit dem Namen Rheinkirchen. Die Heldin heißt Stefanie, ist eine vietnamesische Kriegswaise, die von einem deutschen Ehepaar adoptiert wurde.
Ich will nicht zu viel verraten, aber hier ist der Beginn des aktuellen Entwurfs:
Es war der Sommer 1985, in dem sich alle in Boris Becker verliebten.
Einmal stand er leibhaftig vor mir. Es war auf der Terrasse eines Eiscafés. Er war 17 und groß wie ein Riese. Ich war fast 15 und anderthalb Meter klein mit Brille. Wahrscheinlich hat er mich gar nicht gesehen, obwohl ich sofort in ihn verknallt und er noch nicht der berühmteste Leimener der Welt war.
Am 1. Juli, meinem 15. Geburtstag, eröffneten meine Eltern mir und meinen beiden Geschwistern, dass wir Ende des Monats umziehen würden, weil Vater in Köln eine Arbeitsstelle gefunden hätte und sie in einer Nachbarstadt ein Haus gekauft hätten.
„Ich will das nicht“, protestierte ich, „hier habe ich alle meine Freundinnen.“
„Du hast doch gar keine Freunde“, sagte mein Vater.
„Ich habe Klassenkameraden.“
„Die wirst du auch in Rheinkirchen haben“, sagte Vater.
„Du machst, was wir sagen, Schluss der Debatte“, entschied Mutter.
Ich gehorchte, wie ich immer gehorchte, weil ich nicht wollte, dass Mama wieder ausflippte oder eine Überdosis Pillen nahm.
Im heimischen Baden-Württemberg dauerte das alte Schuljahr noch bis zum 24. Juli, im fremden Nordrhein-Westfalen begann das neue Schuljahr schon am 5. August, was unsere großen Ferien auf mickrige zehn Tage schrumpfen ließ, wovon vier Tage auf Wochenenden fielen und weitere vier Tage mit Aus- und Einräumen draufgingen.
Unser „neues“ Haus in Rheinkirchen war eine alte Jugendstilvilla, die äußerlich viel hermachte, deren Bausubstanz nach sieben Jahren Leerstand aber so schlecht war, dass unsere Eltern sie bezahlen konnten.
„Der Garten ist toll und im Haus haben wir für jeden von euch ein eigenes Zimmer“, sagte Mutter, um uns Kinder zu besänftigen, „Vater hat schon Pläne, wie wir alles modernisieren können.“
Mein Zimmer füllte den kompletten Raum unter dem Krüppelwalmdach im zweiten Stock, außerdem hatte ich ein eigenes Bad. Meine Geschwister Stefanie und Christian, drei beziehungsweise fünf Jahre jünger als ich, bezogen kleinere Zimmer neben den Eltern im ersten Stock.
Ich schmückte meine Wände mit Postern vom hechtenden Boris, der gerade Wimbledon gewonnen hatte, und der leichtbekleideten „Like-a-virgin“-Madonna.